Pflegefachpersonen als Schlüsselakteur:innen in der Primärversorgung: Das ErwiN-Projekt
Die Gesundheitsversorgung steht vor enormen Herausforderungen: Fachärzt:innenmangel, eine steigende Zahl chronisch erkrankter Patient:innen und ein Gesundheitssystem, das zunehmend an Kapazitätsgrenzen stößt. Das Erwin-Projekt ist ein Modellvorhaben, das genau hier ansetzt: Durch die gezielte Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf speziell qualifizierte Pflegefachpersonen soll nicht nur die ärztliche Versorgung entlastet, sondern auch die Versorgungsqualität verbessert werden.
Das ErwiN-Projekt: Ein Überblick
Erwin steht für „Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in Arztnetzen“. Das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) geförderte Projekt erprobt neue Versorgungsmodelle, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen. Das Ziel ist es, zu evaluieren, ob solche Modelle erfolgreich in das reguläre Gesundheitswesen integriert werden können.
Hier geht es zur Internetseite des Projektes.
Die Ziele des Projekts
Das ErwiN-Projekt verfolgt zwei zentrale Ziele:
- Reduzierung der Hospitalisierungsrate bei ambulanzsensitiven Krankenhausfällen
Dies betrifft Patient:innen, deren Krankenhausaufenthalte durch eine verbesserte ambulante Versorgung vermeidbar gewesen wären – beispielsweise bei Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, COPD oder Diabetes mellitus. Studien zeigen, dass jährlich bis zu 3,7 Millionen Krankenhausaufenthalte in Deutschland verhindert werden könnten. - Erweiterung des Pflegeberufsbildes und Entlastung der Ärzteschaft
Pflegefachpersonen sollen gezielt heilkundliche Tätigkeiten übernehmen, um ärztliche Kapazitäten freizusetzen. Gerade in strukturschwachen Regionen kann diese Neustrukturierung dazu beitragen, eine hochwertige Versorgung sicherzustellen.
Das Projekt "ErwiN – Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in ArztNetzen" zielt darauf ab, die medizinische Versorgung in strukturschwachen Regionen durch den Einsatz spezialisierter Pflegefachpersonen (SPFP) zu verbessern.

Ein interdisziplinäres Modell
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Projekts ist die enge Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen. Das Konsortium setzt sich unter anderem aus dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Arztnetzwerken und Krankenkassen zusammen. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation erfolgt durch die Agenon - Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen mbH. Das Projekt wird in vier Modellregionen (Mecklenburg-Vorpommern, Nord- und Südbrandenburg und Berlin) umgesetzt und über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren mit insgesamt ca. 6,7 Millionen Euro gefördert.
Die Qualifizierung der spezialisierten Pflegefachpersonen
Eine zentrale Säule des Projekts ist die Schulung der teilnehmenden Pflegefachpersonen, die durch das DZNE in Kooperation mit dem Institut für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen an der Universitätsmedizin Greifswald durchgeführt wurde.
Diese Fachkräfte erhalten eine staatlich anerkannte Zusatzausbildung, die sie befähigt, im ärztlichen Auftrag eigenverantwortlich Aufgaben wie Gesundheitsprüfungen, Kontrolle von Vital- und Laborparametern, Schmerzerfassung, Medikamentenanpassung, Beratung, Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln sowie Fall-Management durchzuführen. Die Ausbildung erfolgte über sechs Monate hinweg und umfasste:
- 420 Unterrichtsstunden in den Bereichen Pharmakologie, Diagnostik, pflegerische Interventionen und Kommunikation
- 420 Stunden praktische Ausbildung in den Arztnetzen
- Drei Schwerpunktmodule zu Hypertonie, Schmerzmanagement und ernährungsbedingten Erkrankungen
- Simulationen und Fallbesprechungen zur praxisnahen Anwendung
Diese spezialisierte Ausbildung ist an international etablierte Modelle wie „Advanced Nursing Practice“ (ANP) angelehnt, setzt jedoch auf eine praxisnahe Qualifizierung, die auch erfahrene Pflegefachpersonen ohne akademischen Abschluss einbindet.
„Pflegefachpersonen übernehmen nicht einfach nur mehr Arbeit, sondern sie gewinnen Autonomie und können endlich ihre Kompetenzen ausschöpfen.“ – Marisa Buchholz
Die Rolle der spezialisierten Pflegefachpersonen in der Praxis
Die ausgebildeten Fachpersonen arbeiten innerhalb der Arztnetze und übernehmen dort eigenständig Aufgaben, die zuvor ausschließlich Ärzt:innen vorbehalten waren. Dazu gehören:
- Die eigenständige Durchführung von Anamnesen und Assessments
- Die Anpassung von Medikation innerhalb eines vorgegebenen Rahmens
- Die Koordination der ambulanten Versorgung und das Überleitungsmanagement
- Die Beratung und Schulung von Patient:innen zur Krankheitsprävention
Diese neuen Aufgaben erweitern nicht nur das pflegerische Tätigkeitsfeld, sondern ermöglichen es den Pflegefachpersonen, ihre Expertise gezielt einzusetzen und eine koordinierende Rolle in der Versorgung einzunehmen.
„Diese Qualifizierung zeigt, dass Pflege nicht nur eine unterstützende Rolle hat, sondern eigenständig zur besseren Versorgung beitragen kann.“ – Sven Wolfers
Akzeptanz und Herausforderungen
Ein zentrales Thema im Projektverlauf war die Akzeptanz der neuen Rolle durch Ärzt:innen und Patient:innen. Während einige Ärzt:innen zunächst skeptisch waren, zeigte sich in der Praxis, dass die Zusammenarbeit erheblich verbessert werden kann. Die spezialisierten Pflegefachpersonen berichten, dass sie zunehmend eigenständige Entscheidungen treffen und sich in ihrer neuen Rolle sicherer fühlen.
Ein weiteres Thema ist die finanzielle und strukturelle Zukunft solcher Projekte. Da es sich um ein Modellvorhaben handelt, bleibt abzuwarten, ob und wie diese neuen Versorgungsformen in die Regelversorgung überführt werden können.
Fazit: Ein Modell mit Zukunft?
Das Erwin-Projekt zeigt, dass eine gezielte Übertragung ärztlicher Aufgaben auf spezialisierte Pflegefachpersonen nicht nur machbar, sondern auch sinnvoll ist. Die Versorgungsqualität kann verbessert und das Gesundheitssystem entlastet werden. Entscheidend wird sein, ob sich solche Modelle in die Regelversorgung integrieren lassen. Die Teilnehmenden berichten, dass sie sich durch die Qualifizierung gestärkt fühlen – und dass sie die Zukunft der Pflege mitgestalten wollen.
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