ME/CFS, Post-COVID und PAIS: Wenn der Alltag zur Herausforderung wird
Seit der Corona-Pandemie sind Begriffe wie Long-Covid und ME/CFS häufiger in den Medien. Doch was genau steckt dahinter? Welche Menschen sind betroffen, welche Symptome treten auf, und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? In dieser umfassenden Analyse werfen wir einen Blick auf das Krankheitsbild, die Versorgungslage und mögliche Therapieansätze.
Post-Infektiöse Erkrankungen: Ein Überblick
Long-Covid oder Post-Covid sind Begriffe, die die langfristigen gesundheitlichen Folgen einer Covid-19-Infektion beschreiben. Doch sie sind nicht die einzigen post-infektiösen Syndrome. Unter dem Begriff PAIS (Post-Akutes-Infektionssyndrom) werden Erkrankungen zusammengefasst, die nach einer akuten Infektion auftreten. Diese können durch verschiedene Viren, Bakterien oder andere Krankheitserreger ausgelöst werden und betreffen oft den gesamten Organismus.
Eine der schwersten Formen ist ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom). Diese Erkrankung wurde bereits vor Jahrzehnten von der WHO anerkannt und ist durch eine massive körperliche und geistige Erschöpfung gekennzeichnet. Viele Betroffene können ihren Alltag kaum noch bewältigen.
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Häufigkeit und Betroffene
Die genaue Anzahl der Betroffenen ist schwer zu bestimmen, da die Diagnosestellung oft komplex ist. Schätzungen zufolge leiden etwa 1–10 % der Covid-Infizierten an Long-Covid-Symptomen. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil bei 0,5–2 %. Besonders häufig betroffen sind junge Erwachsene zwischen 30 und 35 Jahren.
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Zum Vergleich: Die Zahl der Menschen mit Typ-1-Diabetes oder Multipler Sklerose ist niedriger als die der Long-Covid-Betroffenen – dennoch gibt es für diese Erkrankungen deutlich besser ausgebaute Versorgungsstrukturen.
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Symptome: Mehr als nur Erschöpfung
Die Hauptbeschwerde vieler Betroffener ist eine anhaltende Fatigue – eine tiefgreifende Erschöpfung, die durch Ruhe nicht verbessert wird. Doch das Kernsymptom, das ME/CFS und Long-Covid von anderen Erkrankungen unterscheidet, ist die sogenannte Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise, PEM).
Betroffene erleben nach körperlicher oder geistiger Anstrengung eine massive Verschlechterung ihres Zustands. Diese sogenannten "Crashes" können mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate andauern. Neben Fatigue und PEM treten häufig folgende Symptome auf:
- Konzentrations- und Gedächtnisprobleme (Brain Fog)
- Schlafstörungen
- Muskelschmerzen und Kopfschmerzen
- Atembeschwerden
- Kreislaufprobleme
- Magen-Darm-Beschwerden
Durch diese Symptome werden viele Betroffene in ihrem Alltag massiv eingeschränkt. Arbeit, Schule oder soziale Aktivitäten werden zunehmend zur Herausforderung.
„Ohne gezielte Anpassungen an ihren Alltag können Betroffene in einen Kreislauf aus Überlastung und Verschlechterung geraten.“ - Jeremy Schmidt
Diagnose: Ein langer Weg
Die Diagnosestellung ist schwierig, da keine einzelnen Blutwerte oder bildgebenden Verfahren die Erkrankung eindeutig nachweisen können. PAIS/Post-COVID/ME/CFS wird klinisch diagnostiziert, indem andere Ursachen ausgeschlossen und die typischen Symptome erkannt werden.
Leider dauert es oft Monate oder Jahre, bis eine Diagnose gestellt wird. Viele Betroffene erhalten zunächst Fehldiagnosen, etwa Depressionen oder psychosomatische Erkrankungen. Das liegt auch daran, dass Ärzt:innen und Pflegefachpersonen oft wenig über diese Krankheitsbilder wissen.
Behandlung: Pacing als Schlüsselstrategie
Da es derzeit keine heilende Therapie gibt, liegt der Fokus auf der Symptomkontrolle und einer angepassten Alltagsgestaltung. Ein zentrales Element ist das Pacing – eine Methode zur Belastungssteuerung. Dabei geht es darum, die verfügbare Energie optimal einzuteilen und Überlastung zu vermeiden.
„Eine individuelle Betreuung mit Rücksicht auf Belastungsintoleranz ist entscheidend, um Verschlechterungen zu verhindern.“ - Jeremy Schmidt
Pacing in der Praxis
- Gleichmäßige Tagesstruktur statt Überlastung und Crashs
- Regelmäßige Pausen zur Vermeidung von Energieeinbrüchen
- Vermeidung von körperlicher und kognitiver Überlastung
- Nutzung von Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl für längere Strecken)
Neben Pacing gibt es medikamentöse Ansätze, die derzeit erforscht werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat kürzlich eine Liste von Medikamenten veröffentlicht, die für ME/CFS und Long-Covid Off-Label eingesetzt werden dürfen. Darüber hinaus gibt es Ansätze mit Immunmodulation und neurologischen Therapien.
Versorgungslage: Fehlende Strukturen
Die Versorgung für Betroffene ist derzeit unzureichend. Es gibt nur wenige Spezialambulanzen, die oft lange Wartezeiten haben. Besonders schwer Erkrankte, die das Haus nicht verlassen können, erhalten kaum adäquate medizinische Unterstützung. Eine telemedizinische Versorgung und aufsuchende Betreuung wären dringend nötig.
Ein weiteres Problem ist die fehlende finanzielle Unterstützung. Die Beantragung von Pflegegrad und Grad der Behinderung (GdB) ist für viele Betroffene kompliziert. Ein Hauptproblem liegt in den Begutachtungskriterien: Diese sind oft nicht an die Besonderheiten von ME/CFS angepasst. Viele Betroffene erhalten daher keine oder nur unzureichende Unterstützung.
Spezialambulanz für ME/CFS und Long-Covid in Bielefeld
Eine der wenigen spezialisierten Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Long-Covid, ME/CFS und anderen post-infektiösen Fatigue-Syndromen ist die Ambulanz am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) in Bielefeld. Die Ambulanz bietet eine interdisziplinäre Versorgung, die sowohl Diagnostik als auch individuelle Therapieansätze umfasst. Hier stehen insbesondere die frühzeitige Erkennung, Pacing-Beratung und symptomatische Behandlung im Fokus. Die Ambulanz arbeitet eng mit weiteren Fachbereichen und der Forschung zusammen, um die Versorgung dieser Patient:innen stetig zu verbessern.
Rolle der Pflege: Wie Pflegefachpersonen helfen können
Pflegefachpersonen sind oft die ersten, die mit Betroffenen in Kontakt kommen – sei es in der ambulanten oder stationären Versorgung. Deshalb ist es wichtig, dass sie:
- Die Krankheitssymptome kennen und ernst nehmen
- Die richtige Balance zwischen Unterstützung und Reizabschirmung finden
- Angehörige in der Pflege entlasten
- Über Pacing und Belastungsintoleranz informiert sind
Ein gezieltes Schulungsprogramm für Pflegefachpersonen könnte hier eine große Verbesserung bringen.
„Einfühlsame Kommunikation und Geduld sind essenziell, da viele Betroffene jahrelang um Anerkennung ihrer Symptome kämpfen müssen.“ - Jeremy Schmidt
Fazit: Dringender Handlungsbedarf
ME/CFS und Long-Covid sind keine neuen Phänomene, doch erst durch die Pandemie rückt das Thema stärker in den Fokus. Die Forschung macht Fortschritte, doch die Versorgungslage ist weiterhin kritisch. Es braucht mehr Aufklärung, gezielte Behandlungsangebote und eine bessere Unterstützung für Betroffene und Angehörige.
Zuwachs bei der Übergabe
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