Pflege neu gedacht: Die Akademisierung als Zukunftsweg

Die Pflege steht vor einem Paradigmenwechsel. Themen wie Akademisierung, Professionalisierung und wissenschaftliche Reflexion erobern zunehmend das Zentrum der Diskussion. Doch was bedeutet Akademisierung für die Pflege? Welche Chancen, aber auch Herausforderungen, birgt dieser Wandel?

Akademisierung: Was bedeutet das konkret?

Akademisierung bezeichnet die Integration wissenschaftlicher Ansätze und Reflexionen in die Pflegeausbildung. Im Fokus steht dabei, Handlungen auf Basis von evidenzbasiertem Wissen zu gestalten, statt allein auf Traditionen oder Intuition zu vertrauen. Pflege wird somit zu einer praxiswissenschaftlichen Disziplin, die Theorie und Praxis verbindet.

Früher stand oft die Frage im Raum, ob wissenschaftliche Ausbildung überhaupt notwendig sei. Doch mittlerweile zeigt sich klar: Akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen tragen wesentlich dazu bei, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Studien wie die von Linda Aiken belegen, dass mehr Pflegepersonen mit Bachelorabschluss auf Station die Mortalität der Patient:innen senken können.

Warum brauchen wir akademische Pflegefachpersonen?

Die steigende Komplexität der Gesundheitsversorgung erfordert neue Kompetenzen. Chronische Erkrankungen, Multimorbidität und hochkomplexe medizinische Behandlungen stellen neue Anforderungen an die Pflege. Akademisierte Pflegefachpersonen können hier Lösungen anbieten, da sie Prozesse kritisch hinterfragen, wissenschaftlich reflektieren und methodisch planen können.
Ein gutes Beispiel ist die Anwendung von Expertenstandards. Akademisch geschulte Fachpersonen können nicht nur Standards kennen, sondern diese auch implementieren, auditieren und an die spezifischen Bedürfnisse ihrer Einrichtung anpassen. Diese Kompetenzen sind im aktuellen Gesundheitssystem unverzichtbar.

Pflege ist ein Praxisberuf, aber das wissenschaftliche Nachdenken über Handlungen ist der Schlüssel zu besserer Versorgung.
Prof. Dr. Benjamin Kühme

Vom Widerstand zur Akzeptanz: Die Praxis im Wandel

Noch immer begegnet die Akademisierung in der Praxis teils Vorbehalten. Viele Pflegepraktiker:innen fühlen sich in ihrer bisherigen Kompetenz angezweifelt. Dies führt zu Konflikten zwischen Berufserfahrung und akademischem Wissen. Doch erste Studien zeigen, dass sich diese Vorurteile mit der Zeit abbauen, sobald die Zusammenarbeit von erfahrenen Fachpersonen und akademischen Absolvent:innen eingespielt ist.
Hier können sogenannte Tandem-Modelle helfen: Teams aus erfahrenen Praktiker:innen und akademisch geschulten Pflegefachpersonen kombinieren Erfahrungswissen mit wissenschaftlichem Know-how. So entstehen innovative Lösungen und eine stärkere Akzeptanz neuer Rollenbilder.

Berufsübergreifende Zusammenarbeit: Ein Schlüssel zur Integration

Neben der internen Zusammenarbeit müssen akademisierte Pflegefachpersonen auch über die eigenen Berufsgrenzen hinausdenken. Beispielsweise erfordert die Optimierung von Patientenströmen ein tiefes Verständnis für organisatorische und interdisziplinäre Prozesse. Hier liegt ein weiteres Potenzial: Pflege kann eine koordinierende Rolle übernehmen und Versorgungsbrüche verhindern.
Ein praktisches Beispiel liefert die Entwicklung des Entlassungsmanagements. Hier kann Pflege durch fundierte Prozesskenntnisse sicherstellen, dass Patient:innen optimal vom Krankenhaus in die Langzeitpflege oder den ambulanten Bereich wechseln. Fehler und Versorgungsunterbrechungen, die oft zu gesundheitlichen Verschlechterungen führen, können so vermieden werden.

Pflegeausbildung und -weiterbildung: Vielfalt statt Einheitsbrei

Die Akademisierung bedeutet keinesfalls das Ende der klassischen Pflegeausbildung. Vielmehr geht es um eine sinnvolle Verschränkung beider Bildungswege. Berufsfachschulen leisten weiterhin wertvolle Arbeit und sorgen dafür, dass die Basisversorgung gesichert bleibt. Hochschulen hingegen bereiten auf spezialisierte und strategische Aufgaben vor.
Eine besondere Rolle spielen hierbei duale Studiengänge, die Theorie und Praxis verbinden. Diese Programme ermöglichen es Studierenden, sich akademisch zu qualifizieren und gleichzeitig praktische Erfahrung zu sammeln.
Zukünftig sollten zudem Programme entwickelt werden, die erfahrenen Pflegepersonen den Einstieg in die Akademisierung erleichtern. Dazu gehören Anschlussprogramme und die Anerkennung beruflicher Kompetenzen.

Langzeitpflege und neue Versorgungsformen: Akademisierung als Motor

Während die Akademisierung in der Akutpflege schneller voranschreitet, gibt es in der Langzeitpflege noch Nachholbedarf. Doch gerade hier können akademisierte Pflegefachpersonen einen entscheidenden Unterschied machen. Sie können beispielsweise Konzepte wie das Case-Management entwickeln und umsetzen, um Pflegeprozesse zu optimieren und Krankenhauseinweisungen zu reduzieren.

Darüber hinaus gewinnen Community Health Nurses (CHNs) an Bedeutung. Diese Fachpersonen agieren in der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und helfen, die Gesundheitsversorgung in der Gemeinschaft zu stärken. Sie sind ein Beispiel dafür, wie Akademisierung auch neue Berufsprofile schaffen kann.

Herausforderungen und Chancen für die Zukunft

Die Akademisierung der Pflege ist kein Selbstzweck. Sie dient dem Ziel, die Versorgungsqualität zu steigern und die Pflege als Berufsfeld attraktiver zu machen. Dabei ist es entscheidend, alle Beteiligten einzubinden. Pflegefachpersonen mit unterschiedlichen Hintergründen können voneinander lernen und gemeinsam neue Lösungen entwickeln.
Eine zentrale Aufgabe bleibt es, die Rolle der akademisierten Pflegepersonen klar zu definieren. Nur so kann die Akzeptanz in der Praxis weiter gesteigert werden. Einrichtungen sollten gezielt Programme entwickeln, um das Potenzial ihrer Mitarbeiter:innen zu fördern.

Fazit

Die Akademisierung der Pflege bietet enorme Chancen, birgt aber auch Herausforderungen. Sie eröffnet neue Perspektiven, macht den Beruf attraktiver und verbessert die Versorgung der Patient:innen. Entscheidend ist, dass alle Akteure den Wandel gemeinsam gestalten und voneinander profitieren.