Wir sprechen mit interessanten Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Bildung und Pflegepraxis. Hinter dem Mikro sitzen und stehen in diesem Teil unter anderem Heinz Rothgang, Sandra Postel oder Martina Hasseler. Eine interessante Berichterstattung dieses wichtigen Events für die Pflege.
Pflege als unverzichtbares Menschenrecht
Pflege wird zunehmend als integraler Bestandteil des Menschenrechts auf Gesundheit angesehen. Sandra Postel, Präsidentin der Landespflegekammer NRW, unterstrich in ihrer Rede die Notwendigkeit, Pflege als Recht für alle Menschen zu verankern – unabhängig von sozialen oder ökonomischen Faktoren. Dieses Menschenrecht zu wahren erfordert laut Postel eine umfassende gesellschaftliche Verantwortung und politisches Handeln.
„Pflege darf keine Frage der Ressourcen sein, sondern muss für alle Menschen gleichermaßen zugänglich und würdevoll sein“ - Sandra Postel
Die Diskussion rund um menschenwürdige Pflege und deren Platz im deutschen Gesundheitssystem stieß auf breite Zustimmung und zeigte die Notwendigkeit auf, ein System zu schaffen, das Pflege in allen Facetten gerecht und zugänglich macht. Der Deutsche Pflegetag diente als Plattform für einen klaren Appell an die Politik: Pflege muss in der gesellschaftlichen Struktur fest verankert und als Grundrecht anerkannt werden.
Die Perspektive pflegender Angehöriger
Ein emotionaler Moment der Veranstaltung war das Interview mit Herbert Probst, einem pflegenden Angehörigen, der von den täglichen Herausforderungen berichtete. Er schilderte, wie sehr Zeitdruck und fehlende Unterstützung den Alltag vieler pflegender Angehöriger prägen. Für ihn sei es ein zentrales Anliegen, dass Pflege in der Gesellschaft sichtbar wird und pflegende Angehörige die notwendige Entlastung und Anerkennung erhalten.
„Pflege sollte etwas ganz Normales sein – nichts Außergewöhnliches, sondern eine Selbstverständlichkeit.“ - Herbert Probst
Probst erklärte, dass Pflegearbeit allzu oft im Verborgenen stattfinde und die enorme Belastung für pflegende Angehörige kaum beachtet werde. Er forderte gezielte Rückzugsräume und Unterstützungssysteme, um Pflegende vor Überlastung zu schützen. Seine Stimme unterstrich die Dringlichkeit, die Pflegearbeit als gesellschaftliche Pflicht zu erkennen und Strukturen zu schaffen, die pflegenden Angehörigen angemessen entlasten.
Pflegepolitik als gesellschaftliches Zukunftsthema
Der Deutsche Pflegetag 2024 fand zu einem Zeitpunkt statt, der politisch hoch relevant ist. Daher wurde die Konferenz genutzt, um die Pflege als ein zentrales gesellschaftliches Thema zu positionieren. Sandra Postel erläuterte, dass die Pflege auch als wahlentscheidendes Thema wahrgenommen werden müsse, das weit über parteipolitische Differenzen hinausgeht. In diesem Kontext wurden besonders das Pflegekompetenzgesetz und die Krankenhausreform intensiv diskutiert.
„Pflegende müssen als politisch einflussreiche Wählergruppe wahrgenommen werden. Pflege ist ein Zukunftsthema, das alle angeht.“ - Sandra Postel
Die Rolle der Pflegefachpersonen als potenziell einflussreiche Wählergruppe wurde dabei herausgestellt. Postel appellierte an alle Anwesenden, im Wahlkampf aktiv Position zu beziehen und Pflege als eine politische Priorität einzufordern. Dies sei ein entscheidender Schritt, um die Zukunft der Pflege in Deutschland zu sichern und sie für kommende Generationen als attraktive und menschenwürdige Berufung zu gestalten.
Strukturelle Hürden: Die Debatte um den Arztvorbehalt
Ein bedeutendes Thema des Pflegetags war die strukturelle Einschränkung der Kompetenzen von Pflegefachpersonen durch den sogenannten „Arztvorbehalt“. Professorin Martina Hasseler brachte ihre internationale Perspektive ein und erklärte, wie dieser Vorbehalt in Deutschland die Handlungsspielräume von Pflegefachpersonen stark beschränkt. Im Gegensatz dazu würden in den USA „Advanced Nurse Practitioners“ deutlich autonomer arbeiten und selbst Diagnosen und Therapien durchführen.
Hasseler sieht in der Abschaffung oder Lockerung des Arztvorbehalts einen entscheidenden Schritt, um die Pflege in Deutschland zu stärken. Diese Anpassung würde Pflegefachpersonen mehr Verantwortung und Entscheidungsfreiheit verleihen und gleichzeitig die Qualität der Pflegeversorgung verbessern. Hasseler betonte, dass Pflege in Deutschland durch diese Erweiterung an Attraktivität und Autonomie gewinnen würde und langfristig dazu beitragen könnte, die Pflegeberufe für mehr Menschen zugänglich und wertvoll zu machen.
Internationale Perspektiven und der Wert klarer Regulierung
Der britische Pflegeexperte David Benton stellte dar, wie unterschiedliche Länder das Recht auf Pflege in ihre Gesellschaften und rechtlichen Strukturen integrieren. Benton betonte die Bedeutung klarer Regulierungen und Qualitätssicherungen, die sicherstellen, dass jede Pflegefachperson über die notwendige Qualifikation und Kompetenz verfügt, um die bestmögliche Versorgung zu bieten. Dabei ist das Recht auf Pflege nicht nur ein ethisches Anliegen, sondern eine praktische Notwendigkeit für eine funktionierende Gesundheitsversorgung.
„Nur durch klare Regulierung und Qualitätssicherung können wir sicherstellen, dass Pflege überall auf hohem Niveau erbracht wird.“ - David Benton
Benton schilderte, dass in den USA umfassende Systeme zur Echtzeit-Überwachung und Ressourcenverteilung bestehen. Diese Daten machen es möglich, die Verfügbarkeit und den Bedarf an Pflegefachpersonen in jedem Bereich genau nachzuvollziehen. Er sieht solche Standards als unverzichtbar, um langfristig eine bedarfsgerechte und effiziente Pflege zu ermöglichen. Der Deutsche Pflegetag 2024 unterstrich, dass auch in Deutschland ein solches System etabliert werden sollte, um die Qualität und Zugänglichkeit der Pflege zu garantieren.
Zukunftstechnologien und ihre Rolle in der Pflege
Künstliche Intelligenz: Potenziale und ethische Anforderungen
Die Integration Künstlicher Intelligenz (KI) in die Pflege wurde ebenfalls auf dem Pflegetag diskutiert. Der Pflegewissenschaftler Manfred Hülsken-Giesler machte deutlich, dass KI im Pflegealltag große Chancen bietet, pflegende Personen zu entlasten. Gleichzeitig unterstrich er, dass eine umfassende ethische Kontrolle notwendig ist, um sicherzustellen, dass KI-Systeme im Sinne der pflegerischen Arbeit entwickelt werden und dass sie die Autonomie und Würde der Pflegebedürftigen wahren.
Hülsken-Giesler sprach auch die Notwendigkeit an, dass Pflegefachpersonen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung solcher Technologien einbezogen werden. Nur so könne verhindert werden, dass KI-Lösungen primär wirtschaftlichen Interessen dienen und nicht den Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen oder der Pflegenden selbst. Dies ist ein Beispiel für den Balanceakt zwischen Innovation und Menschenwürde, der für die Zukunft der Pflege von zentraler Bedeutung sein wird.
Regionale Pflegekompetenzzentren als Vorbild für präventive Pflege
Ein weiterer Lösungsansatz, der auf dem Deutschen Pflegetag 2024 vorgestellt wurde, sind regionale Pflegekompetenzzentren. Diese sollen Pflegebedürftigen ermöglichen, länger in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben und dabei eine qualitativ hochwertige Versorgung zu erhalten. Hülsken-Giesler wies darauf hin, dass solche Zentren auf eine stabile und nachhaltige Finanzierung angewiesen sind. Die Umsetzung solcher Konzepte könnte jedoch langfristig die Pflegeversorgung in Deutschland grundlegend verbessern und für eine präventive, bedürfnisgerechte Pflege sorgen.
Live vom Deutschen Pflegetag - Tag 1
Live mit Christel Bienstein
Aktuelle Themen in der Community
Wichtige Links
- Deutscher Pflegetag in Berlin (deutscher-pflegetag.de)
- Deutscher Pflegerat (deutscher-pflegerat.de)
- Petition zur Patient:innensicherheit des APS e.V. (bundestag.de)
- Mein Name ist Mensch (meinnameistmensch.de)
Diskussion