Wie Krankenhausaufenthalte in Pflegeheimen reduziert werden können

#13 | 21.09.2023

Dieses Briefing nimmt wieder mal die Schnittstelle der Pflegeheime und Krankenhäuser in den Fokus. Die Studie aus dem Jahr 2023 zeigt, dass durch gezielte Präventionsmaßnahmen bis zu 35% der Krankenhauseinweisungen von Pflegeheimbewohner:innen vermieden werden können. Expert:innen identifizierten dabei Schlüsselstrategien für eine verbesserte Versorgung. Viel Spaß mit dem neuen Briefing!

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Zusammengefasst von

Studien-Charakteristika

  • Autor:innen: Maria Paula Valk-Draad, Sabine Bohnet-Joschko
  • Jahr: Januar 2023
  • Land: Deutschland
  • Design: Mixed-Methods / Delphi-Verfahren, Sekundärdatenanalyse, Konsensfindung
  • DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-022-03654-4

Was war das Ziel der Studie?

Ziel der Studie ist die Entwicklung von Handlungsempfehlungen zur Reduzierung von Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen. Die Studie hatte drei Hauptphasen:

  • Phase 1: Es wurden Gründe für Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen ermittelt
  • Phase 2: „Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfälle“ (PSK) wurden identifiziert.
  • Phase 3: Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen zur Reduktion der PSK.

Warum ist das wichtig?

Im Jahr 2020 erhielten rund 4,3 Millionen Menschen Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung, wobei etwa 820.000 von ihnen in Pflegeheimen versorgt wurden. Bis 2030 wird erwartet, dass die Zahl der Pflegebedürftigen auf 5,1 Millionen (+19%) ansteigen wird, und bis 2040 auf 5,7 Millionen (+12%).
Mit dem Anstieg der hochaltrigen Pflegebedürftigen steigt auch die Zahl der Personen, die in Pflegeheimen betreut werden. In Deutschland wird bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands von Pflegeheimbewohnern (PHB) etwa alle drei Monate bei 21% der PHB eine Krankenhauseinweisung erforderlich, was zu einer Zunahme der Hospitalisierungen führt. Dies birgt das Risiko, dass der Gesundheitszustand der akut erkrankten PHB durch den Krankenhausaufenthalt weiter verschlechtert wird, beispielsweise aufgrund von Stress durch den Transfer, unerwünschten Arzneimittelwirkungen, dem „Post-Hospital-Syndrom“ und im Krankenhaus erworbenen Erkrankungen. Ein Teil dieser Krankenhauseinweisungen von PHB könnte als unnötig und vermeidbar betrachtet werden.

Was wurde untersucht?

In dieser Studie wurden verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit Krankenhauseinweisungen von Pflegeheimbewohner:innen (PHB) in Deutschland untersucht:

  • Analyse von Sekundärdaten: In der ersten Phase wurden vorhandene Daten aus dem Zeitraum von April bis September 2019 analysiert. Dabei ging es darum, die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen aus Pflegeheimen zu bestimmen und die damit verbundenen Kosten zu ermitteln.
  • Entwicklung eines PSK-Katalogs: In der zweiten Phase wurde ein Katalog von „Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen“ (PSK) entwickelt. Dazu wurde ein spezielles Verfahren namens „Delphi-Verfahren“ verwendet, bei dem Expert:innen aus verschiedenen Bereichen (ambulante und klinische Ärzt:innen, Pflegefachpersonen, Wissenschaftler:innen) befragt wurden. Diese sollten einschätzen, welche Krankheiten bei optimaler Versorgung im Pflegeheim behandelt werden könnten und welcher Anteil der Krankenhauseinweisungen vermeidbar wäre.
  • Entwicklung von Handlungsempfehlungen: In der dritten Phase wurden konkrete Handlungsempfehlungen zur Reduzierung der PSK entwickelt. Hierbei wurden die Ergebnisse aus den ersten beiden Phasen berücksichtigt, und Expert:innen erarbeiteten Ansätze zur besseren Versorgung akut erkrankter Pflegeheimbewohner:innen.
  • Berechnung von Präventionspotenzialen: Abschließend wurde anhand von Krankenkassendaten berechnet, wie viel Geld durch die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen im Gesundheitssystem eingespart werden könnte.

Was wurde herausgefunden?

  • In der ersten Phase wurden Daten von über 242.000 Pflegeheimbewohner:innen ausgewertet. Dabei wurden 117 Diagnosen identifiziert, die häufig zu Krankenhauseinweisungen führten. Insgesamt wurden 58 Diagnosen als Pflegeheim-sensitiv identifiziert, bei denen ein hohes Vermeidungspotenzial besteht.
  • Das Präventionspotenzial wurde geschätzt, um die möglichen Kostenersparnisse zu ermitteln. Zum Beispiel könnten bei Herzinsuffizienz 75% der Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Dies könnte zu einer Kosteneinsparung von etwa 92,6 Millionen Euro führen.
  • Die Studie verglich PSK mit ambulant-sensitiven Krankenhausfällen (ASK) und stellte fest, dass 53% der PSK nicht zu den ASK gehörten, und umgekehrt. Auch die Vermeidbarkeitspotenziale und die Diagnosen wichen voneinander ab.
  • Es stellte sich heraus, dass Harnwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen die häufigsten Kategorien von PSK waren. Neurologische Erkrankungen, einschließlich Demenz, wiesen das höchste Präventionspotenzial auf.
  • Die durchschnittlichen Kosten für einen Krankenhausaufenthalt einer Pflegeheimbewohner:in betrugen etwa 4.030 Euro. Hochgerechnet auf Deutschland ergab sich, dass im Jahr 2017 rund 2,6 Milliarden Euro für Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohner:innen aufgewendet wurden. Von diesen Kosten könnten laut Expert:innenschätzungen etwa 35% durch die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen vermieden werden.

Wie verlässlich sind die Ergebnisse?

Die Studie basiert auf Krankenhausentlassungsdiagnosen, die nicht notwendigerweise den genauen Grund für die Einweisung der Patient:innen widerspiegeln. Dies könnte Unsicherheiten hinsichtlich der zugrunde liegenden Datenqualität und Genauigkeit der Diagnosen erzeugen. Die Einschätzungen zur Vermeidbarkeit von Krankenhauseinweisungen beruhen auf Erfahrungen und Fachkenntnissen des Expertenpanels.
Die Studie unterscheidet nicht zwischen geplanten und ungeplanten Krankenhausaufenthalten. Die Zusammensetzung des Expertenpanels wies eine hohe Responserate auf, dennoch bleibt die Möglichkeit, dass ein anderes Expertengremium zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen gekommen wäre.

Wie lassen sich diese Ergebnisse für die Praxis nutzen?

Die Empfehlungen sollen Krankenhauseinweisungen von Pflegeheimbewohner:innen zu verringern und die Versorgungssituation in Pflegeheimen verbessern. Die Empfehlungen wurden in sechs Bausteine einer guten Versorgungssituation unterteilt:

  • Qualifiziertes Fachpersonal: Es ist wichtig, dass alle an der Versorgung beteiligten Fachkräfte über die erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen verfügen.
  • Kooperation & Kommunikation: Kooperationsstrukturen und transparente Kommunikationswege müssen geschaffen werden, um eine effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen.
  • Infrastruktur: Pflegeeinrichtungen sollten über die notwendige Ausstattung verfügen, um Diagnostik und Behandlung vor Ort durchführen zu können.
  • Interne Prozesse in den Einrichtungen: Die internen Abläufe in den Einrichtungen und an den Schnittstellen zu anderen Gesundheitsdienstleistern müssen so gestaltet sein, dass eine reibungslose Zusammenarbeit gewährleistet ist.
  • Rechtliche Rahmenbedingungen: Die gesetzlichen Vorschriften sollten überprüft und angepasst werden, um die Versorgung von Pflegeheimbewohner:innen zu verbessern.
  • Vergütungsstrukturen: Die bestehenden Vergütungssysteme müssen angepasst und weiterentwickelt werden, um eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen.

Diese Empfehlungen können mehreren Krankenhauseinweisungen vorbeugen. Die Kommunikation und Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren spielt eine zentrale Rolle, die Empfehlungen sind eng miteinander verknüpft.