Delire durch Musik reduzieren
#14 | 05.10.2023
Die gesichtete Studie nimmt die Wirkung von Musik auf Delire auf der Intensivstation unter die Lupe. Der Einsatz zeigt sich dabei vielversprechend, muss aber aufgrund der strukturellen Schwächen der Studie kritisch hinterfragt werden. Die Umsetzung als adaptive Maßnahme kann jedoch bedenkenlos erfolgen.
Viel Spaß mit dem neuen Briefing!
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Zusammengefasst von
Studien-Charakteristika
- Autor:innen: Sikandar H. Khan et al.
- Jahr: März 2020
- Land: USA
- Design: Randomisiert Kontrollierte Studie (RCT)
- DOI: https://doi.org/10.4037/ajcc2020175
Was war das Ziel der Studie?
Die Studie zielt darauf ab, die Machbarkeit und Akzeptanz von personalisierter Musik (PM), langsamem Musiktempo (STM) und Aufmerksamkeitskontrolle (AC) bei Patient:innen zu bestimmen, die auf einer Intensivstation mechanisch beatmet werden. Darüber hinaus soll die Wirkung von Musik auf das Auftreten von Deliren bei diesen Patient:innen bewertet werden.
Warum ist das wichtig?
Beatmete Patient:innen haben ein hohes Risiko, ein Delir zu entwickeln. Dieses führt zu einer verlängerten Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation, zu einer höheren Mortalität sowie zu erhöhten Kosten für das Gesundheitswesen. Zudem leiden beatmete Patient:innen oft an Ängsten, Stress und Schmerzen, welche schnell mit Sedativa behandelt werden, was ebenfalls die Gefahr, ein Delir zu erleiden, erhöht. Versuche, ein Delir pharmakologisch zu behandeln, zeigen meist keinen Erfolg. Non-pharmakologische Maßnahmen wie ein gezieltes Schmerzmanagement, den Einbezug von Angehörigen und Mobilisation haben dabei bessere Erfolge, werden allerdings oft vernachlässigt. Vorangegangene Studien haben dabei eine gute Wirkung von Musik auf Ängste, Blutdruck, Herzfrequenz, die Höhe der Sedierungsrate und postoperative Schmerzen gezeigt. Solche niedrigschwelligen und leicht umsetzbaren Maßnahmen können dabei eine gute Ergänzung sein.
Was wurde untersucht?
In dieser dreiarmigen RCT wurde den ausgewählten Patient:innen personalisierte Musik (PM), langsame Musik (STM) mit 60-80 BPM oder ein Hörbuch zur Aufmerksamkeitskontrolle (AC) für eine Stunde am Tag über noise-canceling Kopfhörer vorgespielt. Dies geschah über die gesamte Zeit des Intensivaufenthaltes. Im Anschluss wurden für 28 Tage innerklinisch die Delirraten, die Angst, der Schmerz, das klinische Outcome sowie die Mobilitätsentwicklung der Patient:innen gemessen.
Es wurden viel primäre Outcomes evaluiert:
- Die Rekrutierungsrate
- Die Umsetzung der Maßnahmen
- Die Akzeptanz der Maßnahmen bei den Patient:innen
- Die Machbarkeit der Maßnahmen
Als sekundäre Outcomes wurde die Wirkung auf die Delirium-freien Tage, den Schweregrad des Delirs, die Angst, den Schmerz und die physiologische Belastung und Mobilität der Patient:innen gemessen.
Was wurde herausgefunden?
Die untersuchten Patient:innen bewerteten die Musik als beruhigend. Die Hörbücher wurden dagegen schlecht bewertet, da den Patient:innen diese nicht gefallen haben. Die Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Maßnahmen unterschieden sich nicht zwischen den Musikarten und Hörbüchern und lag bei ca 80%.
Patient:innen mit der STM wiesen deutlich weniger Tage im Delir auf als die Patient:innen mit den Hörbüchern oder der personalisierten Musik (7 Tage weniger). Dieses Ergebnis war statistisch allerdings nicht signifikant. Auch der Schweregrad des Delirs war bei den Patient:innen mit der STM geringer, aber auch hier ergab sich keine Signifikanz. Des weiteren waren die Patient:innen mit der STM wacher als die anderen Gruppen, für dieses Ergebnis ergab sich jedoch ebenfalls keine Signifikanz.
- Es gab keine Unterschiede in der Angst oder im Schmerz zwischen den drei Gruppen.
- Die Patient:innen mit der STM hatten eine signifikant höhere Herzfrequenz sowie einen höheren diastolischen Blutdruck.
- Patient:innen die die STM hörten, hatten nicht signifikant niedrigere Raten an Sedativa.
- Es ergaben sich keine negativen Effekte auf die untersuchten Patient:innen.
Wie verlässlich sind die Ergebnisse?
Die Studie hat eine niedrige Patient:innenkohorte. Dies wirkt sich negativ auf die Verlässlichkeit der Ergebnisse aus. Auch die Ausschlusskriterien haben einen negativen Einfluss, da diese viele hoch Delir gefährdete Patient:innen von vornherein ausschließen und so falsch positive Ergebnisse in den Delirraten provozieren. Der Studienablauf ist dagegen gut beschrieben und nachvollziehbar. Auch das Design einer RCT führt zu einer guten wissenschaftlichen Qualität.
Wie lassen sich diese Ergebnisse für die Praxis nutzen?
- Musik hat das potenzial, adaptiv in der Delirprävention eingesetzt zu werden. Es sind aber genauere Untersuchungen mit einer aussagekräftigeren Kohorte nötig.
- Der Einsatz von Musik hat generell keine negativen Effekte auf Patient:innen. Es muss aber auf die Vitalzeichen geachtet werden, wenn ein Einsatz erfolgt.
- Der Einsatz von Musik ist einfach und hat eine hohe Akzeptanz bei den Nutzer:innen und Empfänger:innen. Der Einsatz von Hörbüchern muss überdacht werden und eventuell an den Geschmack der Patient:innen angepasst werden.
- STM hat das potenzial, Delirraten sowie die Schwere des Delirs zu reduzieren. Es kann bei gefährdeten Patient:innen als adaptive Maßnahme ZUSÄTZLICH zur Delirprävention genutzt werden.
- Es kann durch die Nutzung von STM eine Einsparung in der Sedierung erreicht werden, was einen positiven Effekt auf die Delirraten sowie auf andere Faktoren hat. Durch die fehlende Signifikanz ist aber eine individuelle Einschätzung bei allen Patient:innen notwendig.
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