Vom Mutmachbuch zu Berufsstolz-Workshops

2021 erschein das „Mutmachbuch” von Quernheim & Zegelin mit dem Titel „Berufsstolz in der Pflege”. Ich bin durch Zufall über das Buch gestolpert. Obwohl ich Gesundheits- und Krankenpflegerin sowie Pflegewissenschaftlerin bin, ist mir dieser Begriff noch nicht bekannt gewesen. Ich habe das Buch direkt gekauft.

Dieses Mutmachbuch richtet sich an Pflegefachpersonen und beschäftigt sich, wie der Titel vermuten lässt, mit dem Phänomen „Berufsstolz in der Pflege”. Quernheim & Zegelin beleuchten die Facetten des Berufsstolzes und zeigen das hochkomplexe Wesen der professionellen Pflege auf. Zudem werden praxisrelevante Tipps zur Stärkung des eigenen Berufsstolzes vermittelt.

Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit war ich auf der Suche nach praxisrelevanten Themen, die ich für Workshops mit Pflege-Azubis und Praxisanleitende, aufbereiten konnte. Da kam dieses Buch mit dem neuen Begriff „Berufsstolz“ wie gerufen. Bei dieser Lehrtätigkeit stellte ich schnell fest, dass das Thema auch meinen Teilnehmenden eher unbekannt war. Ich diskutierte mit Pflege-Azubis und Praxisanleitenden über das Phänomen und bemerkte, dass ganz unterschiedliche Vorstellungen zum Begriff „Berufsstolz in der Pflege“ vorlagen. Es kam teilweise zu hochemotionalen Diskussionen und es wurden Fragen in den Raum geworfen wie: Worauf kann ich im Pflegefachberuf stolz sein? Passt die Emotion Stolz zum Pflegefachberuf? Wirke ich als Pflegefachperson nicht arrogant, wenn ich sage, dass ich stolz bin? Passt eine stolze Haltung überhaupt zum Pflegeimage?

Diese Fragen konnte ich als Pflegefachperson nur intuitiv beantworten. Außerdem habe ich mich zu Beginn an dem Mutmachbuch orientiert. Im Endeffekt habe ich meine Meinung und Annahmen geteilt, ohne einen wissenschaftlichen Bezug zu erstellen. Im Verlauf meiner Lehrtätigkeit wurde mir allerdings bewusst, dass es sich auch nur um meine subjektive Meinung handelt und ich keiner anderen Pflegefachperson zu nahetreten wollte. Außerdem machte ich zu Beginn den Fehler, andere Professionen (Ärzt:innenschaft, therapeutische Berufe) „schlechter“ darzustellen, um die Profession Pflege besonders hervorzuheben. Meine eigentliche Intention war es, meinen Teilnehmenden zu vermitteln: „Pflege ist (lebens-)wichtig, Pflege ist überall, Pflege ist ein besonderer Beruf – andere Berufe sind nicht so einzigartig – also sei besonders stolz drauf“. Leider hatte dies die unabsichtliche Degradierung anderer Berufsgruppen zur Folge. Daher musste ich einen anderen Zugang zum Thema suchen. Außerdem ist mir zunehmend aufgefallen, dass wir bereits innerhalb unserer Profession dazu neigen, Pflegefachpersonen aus anderen Settings eher abzuwerten. Professionell Pflegende auf einer Intensivstation erleben höheres Ansehen als Pflegefachpersonen im Fachbereich der Altenpflege – aber wieso?

Sind Pflegefachpersonen einer Intensivstation somit auch stolzer in ihrer Arbeit als Kolleg:innen in der Altenpflege?

Ich komme aus dem psychiatrischen Pflegesetting und habe häufig erlebt, dass meine Arbeit vom somatischen Fachbereich eher belächelt wird. Also fragte ich mich selbst „Was macht mich in meinem Beruf stolz? Wann habe ich mich in meinem Setting stolz gefühlt?”. Ich stellte fest: Das habe ich mich in all den Jahren nie gefragt. Mir fielen aber schnell viele Situationen ein, in denen ich ein Stolzempfinden hatte, ohne je bewusst darüber gesprochen zu haben. Wieso auch?

Stattdessen habe ich in der Öffentlichkeit, also bei privaten Veranstaltungen/Feiern oder Familienfesten, eher Horrorgeschichten aus meinem Pflegealltag erzählt. Ich berichtete von den krassesten Herausforderungen, den unangenehmsten Pflegesituationen oder jammerte über schlechte Rahmenbedingungen. Zurecht bekam ich dann einen mitleidigen Blick und die Frage gestellt: Wieso machst du das? Also ich könnte das nicht.

Mir wäre damals nie in den Sinn gekommen in der Öffentlichkeit über einen Stolzmoment zu berichten, da ich mir diesen nicht bewusst war. Jammern und schlecht über den Pflegefachberuf zu sprechen, fühlte sich wie ein ungeschriebenes Gesetz an. Außerdem sieht man als Pflegefachperson, besonders wenn man im Fachbereich der psychiatrischen Pflege arbeitet, gerne etwas entsetzte Gesichter. Zumal ich gerne dargestellt habe, dass nicht jede Person dieser Herausforderung gewachsen ist und man trotz aller Widrigkeiten in der Lage ist, diesen Job zu meistern. Mit Berufsstolz hatte dieses Verhalten allerdings nichts zu tun.


Lisa Gareis
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Lisa Gareis ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und Pflegewissenschaftlerin. Ihren Master hat sie in Public Health gemacht und im Rahmen ihrer Masterarbeit forschte Sie zum Thema Berufsstolz.

Was ist denn nun dieser Berufsstolz?

Neben meiner Vollzeittätigkeit absolvierte ich ein Masterstudium und wollte das Phänomen „Berufsstolz in der Pflege” in einer Hausarbeit wissenschaftlich aufbereiten. Gerade in der Forschung arbeitet man gerne mit Definitionen. Liegt eine Definition vor, lässt sich ein Phänomen leicht erklären. Jede Person weiß, was sich dahinter verbirgt.

Ich habe festgestellt, dass seit etwa 2019 das Stolzerleben von Pflegefachpersonen in nationaler Literatur beleuchtet wird. In dem Mutmachbuch von Laut Quernheim & Zegelin wird der deutsche Begriff „Berufsstolz in der Pflege” mit einem Gefühl von hoher Selbstachtung in Verbindung mit der öffentlichen Wertschätzung der Pflegetätigkeit gleichgesetzt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine allgemeingültige Definition.
Der Begriff „Berufsstolz in der Pflege” wird zunehmend auf Pflegefachtagen, in Social-Media-Beiträgen sowie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendet. Es kursieren viele virtuelle Aufrufe wie „Proud to be a Nurse” oder „#Berufsstolz”, die viele Personen liken oder gar in ihrem Netzwerk teilen.
Obwohl das Phänomen in aller Munde ist, gibt es bislang keine allgemeingültige Definition. Somit weiß eigentlich niemand so genau, was sich hinter dem Begriff konkret verbirgt oder was damit gemeint ist.

Meinen alle Autor:innen in der Wissenschaft oder auf Social-Media mit dem Aufruf „Proud to be a Nurse“ das Gleiche?

Am Ende meiner Literaturrecherche stellte ich fest: viele Menschen verwendeten den Begriff, mittlerweile liest man ihn überall - es gibt auch international Studienergebnisse zum „professionell pride“ – allerdings wird hier auch keine einheitliche Begriffserklärung verwendet.
Aus diesem Grund entschied ich mich im Rahmen meiner Masterthesis das Phänomen qualitativ zu erforschen. Ich habe das Stolzerleben sowie die Vorstellung zum Berufsstolz von Pflegefachpersonen in Deutschland untersucht und wollte wissen:

Welche Vorstellungen haben in Deutschland ausgebildete und derzeit tätige Pflegefachkräfte zum Thema „Berufsstolz in der Pflege”?

Gibt es bei diesen Pflegefachkräfte einen gemeinsamen Kern beim „Berufsstolz in der Pflege”?

Neben den Annahmen von Quernheim & Zegelin (2021) gab es damals auch eine Studie, die beschrieb, dass der Begriff „Berufsstolz in der Pflege“ motivierend auf den Berufsverbleib wirken kann. Dies bestärkte mich, das Phänomen zu erforschen. Ich sehe den frühzeitigen Berufsausstieg von Pflegefachpersonen als hochproblematisch an. Es wäre sinnvoll, Maßnahmen zu entwickeln, um professionell Pflegende in ihrem Pflegefachberuf zu halten. Jedoch geht es vielleicht nicht nur um gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung, damit Pflegefachpersonen ihrem Berufszweig treu bleiben?

Aus der Literatur geht hervor, dass relevante Faktoren für den Ausstieg das schlechte Image der Pflege und die fehlende Berufsattraktivität sein können. Gleichzeitig mangelt es Pflegefachpersonen an der eigenen positiven Wertschätzung ihrer Pflegetätigkeit. Außerdem sprechen professionell Pflegende in der Öffentlichkeit nicht über die Wertigkeit ihrer hochkomplexen Pflegeleistung. Stattdessen wird das Pflegeimage von Berufszugehörigen selbst (inklusive meinem alten Ich) geschädigt. Dies wirkt paradox, da im Rahmen von Studien festgestellt wurde, dass eine angemessene Wertschätzung und Anerkennung einen bedeutenden Einfluss für den Berufsverbleib haben. Hier stellte sich mir die Frage:

Wieso sollten Pflegefachpersonen eine angemessene Anerkennungsleistung für ihre professionelle Pflegetätigkeit erhalten, wenn sie selbst nicht dazu in der Lage sind, positiv über ihren Beruf zu sprechen?

Berufsstolz-Studie — Suche nach Stolzmomente in der direkten Pflege

Zurück zu meiner Studie zum Phänomen „Berufsstolz in der Pflege”.
Ziel meiner Studie war es, setting- und berufsdauerübergreifende Gemeinsamkeiten (d. h. einen gemeinsamen Kern) zum Phänomen „Berufsstolz in der Pflege” für Pflegefachpersonen in Deutschland zu ermitteln. Um das Phänomen greifbar zu machen, sollten die Vorstellungen von befragten Pflegefachpersonen umfassend erhoben und ein erster Definitionsansatz abgeleitet werden.

Um mein Forschungsziel zu erreichen, habe ich mit Pflegefachpersonen telefonische Interviews geführt und sie zu ihren Stolzerleben in der direkten Patient:innen- bzw. Bewohner:innenversorgung befragt. Außerdem habe ich Fragen zu ihren Vorstellungen zum Phänomen „Berufsstolz in der Pflege” gestellt.
Wichtig war für mich, dass die Befragten ihre dreijährige Pflegeausbildung in Deutschland absolviert haben und zum Zeitpunkt meiner Studie in Deutschland tätig waren. Außerdem mussten die Pflegefachpersonen in der direkten Pflege am Menschen tätig sein. Um ein umfassendes Bild zu den Vorstellungen zu erhalten, wollte ich Pflegefachpersonen aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen und mit unterschiedlicher Berufsdauer (d. h. Berufserfahrung in Jahren) befragen. Außerdem durften die Interessierten vorab keinen persönlichen oder beruflichen Kontakt zu mir haben, d.h. keine Teilnahme an meinen Berufsstolz-Workshops. Somit sollten die Befragten frei, ohne mein Zutun, ihre persönliche Meinung äußern können. Mithilfe der unterschiedlichen Settings und Berufserfahrungen wollte ich einen gemeinsamen Kern zu den Vorstellungen der Befragten herausarbeiten.

Schaut man sich den Begriff „Stolz” näher an:

In der Literatur steht, dass Stolz zu den komplexen Emotionen des Menschen zählt. Um Stolz zu empfinden, sind spezielle Prozesse der Selbstbewertung (d. h. Wie sehe ich mich selbst?) notwendig. Das Individuum muss sein eigenes Selbst sowie das eigene Tun einschätzen können (d. h. Das was ich tue, ist gut). Außerdem ist es für diese komplexe Emotion notwendig, dass eine Person bestimmte ethischen Wertvorstellungen verinnerlicht hat (d. h. Was bedeutet „gut” für mich? Welche Werte, z. B. Ehrlichkeit, Tapferkeit sind mir wichtig?).

Stolz wird empfunden, wenn ein subjektiv bewerteter konkreter Soll-Zustand realisiert oder überragt wurde. Das bedeutet, dass jede Person für sich selbst entscheidet, welches persönliche Ziel (z. B. Gewichtsreduktion, Erhalten einer guten Note) erreicht werden muss, um sich stolz auf diesen Erfolg zu fühlen.
Übertragen auf die professionelle Pflege muss die Pflegefachperson in der Lage sein, ihre pflegerische Leistung zu bewerten und sich persönliche (Pflege-)Erfolge suchen. Außerdem muss sie sich bewusst mit ihren individuellen Wertvorstellungen beschäftigen, um bewerten zu können, nicht nur ob, sondern wie das persönliche Ziel erreicht oder gar überragen wurde.

„Professional Pride” — internationaler Berufsstolz

Wird internationale Literatur zum Begriff „(Berufs-) Stolz” im Pflegfachberuf gesucht, sind erste Studienergebnisse auffindbar. Beispielsweise können herausragende Erfolge bei der pflegerischen Versorgung (sog. Pflegeerfolge) ein Stolz-Empfinden in Bezug auf die eigene Leistung auslösen. In der Pflege wird eine gute Pflegepraxis durch berufsrelevante Werte festgelegt, welche bewusst von Pflegefachpersonen gelebt werden müssen. Pflegerelevante Werte (sog. Pflege-Werte) sind z. B. Respekt, Sinnhaftigkeit oder Ganzheitlichkeit. Außerdem wurde festgestellt, dass die eigene erworbene Pflegefachlichkeit ein Stolz-Empfinden bei Pflegefachpersonen auslösen kann. Positive Auswirkungen auf den Berufsstolz hat zudem die direkte Wertschätzung von Pflegekund:innen.
Jedoch musste ich festhalten, dass diese internationalen Studienergebnisse auch keine einheitliche Definition zum Begriff „Berufsstolz” haben. Außerdem können diese Erkenntnisse nicht auf deutsche Rahmenbedingungen übertragen werden. Denn was Pflegefachpersonen tun (dürfen), hängt von den gesetzlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen eines Landes ab.

Unser Podcast zum Thema Berufsstolz:

ÜG071 - Berufsstolz in der Pflege (German Quernheim) - Übergabe
Wir sprechen mit Dr. German Quernheim über Berufsstolz in der Pflege und zeigen auf, warum das besonders wichtig ist.

Erkenntnisse aus der Berufsstolz-Studie: Faktoren & Quellen

Im Sommer 2023 interviewte ich deutschlandweit zwölf Pflegefachpersonen aus unterschiedlichen Versorgungssettings (d.h. akutstationär, ambulant, langzeitstationär) und mit einer unterschiedlichen Berufsdauer. Es waren acht Frauen und vier Männer. Sie hatten eine durchschnittliche Berufsdauer von 14,84 Jahre. Die durchschnittliche Interviewdauer am Telefon betrug 36:59 Minuten.

Aus den Interviews ging hervor, dass es sich bei dem Phänomen „Berufsstolz in der Pflege” um ein eher multifaktorielles Geschehen (siehe gelber Kasten, Abb.1) handelt. Von den Befragten wurden acht Faktoren (sog. Berufsstolz-Faktoren) zum Phänomen beschrieben, die einen positiven oder negativen Einfluss auf das Berufsstolz-Empfinden haben. Diese sogenannten Berufsstolz-Faktoren sind:

Abbildung 1: Berufsstolz-Faktoren, eigene Darstellung

Um zu verstehen, was sich hinter diesen Berufsstolz-Faktoren versteckt, werden die Inhalte nachfolgend kurz erläutert:

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Bewusstsein & Aufbau der eigenen Pflegefachlichkeit als Berufsstolz-Faktor

Elf Befragte sind der Meinung, dass ein obligater Faktor für den Berufsstolz das Bewusstsein über die eigene Pflegefachlichkeit sei. Es wird berichtet, dass mit steigender Fachlichkeit, der Berufsstolz stärker ausgeprägt werde. Der Berufsstolz speise sich aus dem Erwerb (z. B. Pflegeausbildung) und der Aufrechterhaltung (z. B. durch Weiterbildungen, Spezialisierung) der eigenen Pflegefachlichkeit. 
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Pflege-Werte einer guten Pflegepraxis als Berufsstolz-Faktor

Die Interviewten geben an, dass für den Berufsstolz die Umsetzung individueller Wertvorstellungen (sog. Pflege-Werte) im Sinne einer guten Pflegepraxis relevant sei. Als Pflege-Werte werden u. a. die ganzheitliche Sichtweise, die Sicherstellung der Patient:innen- bzw. Bewohner:innenzufriedenheit, eine positive Fehlerkultur, Nächstenliebe oder Sinnhaftigkeit angeführt.
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Darstellung der pflegerischen Performanz als Berufsstolz-Faktor

Einige der Befragten sind der Meinung, dass ein relevanter Berufsstolz-Aspekt die Darstellung einer pflegerischen Performanz sei. Die eigene fachliche Expertise sowie die hohe gesellschaftliche Relevanz der Pflege solle im Sinne eines beruflichen Standings sichtbar gemacht werden. Dies gelte als förderlich für den Berufsstolz.
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Positive Selbstbewertung als Berufsstolz-Faktor

Als weiterer beeinflussender Faktor für den Berufsstolz benennen die Befragten die positive Selbstbewertung. Wichtig sei es, sich selbst und die eigene pflegerische Leistung als positiv zu bewerten. Jede Pflegefachperson solle Respekt vor der eigenen Pflegetätigkeit haben. Der Berufsstolz müsse als Eigenleistung verstanden werden.
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Öffentliche Selbstdarstellung als Berufsstolz-Faktor

Es sei notwendig für den Berufsstolz, dass Pflegefachpersonen positiver über ihre Tätigkeit sprechen, um die Wertigkeit und Besonderheiten des Pflegefachberufs aufzuzeigen. Diese eigene positive Haltung zum Beruf müsse öffentlich kommuniziert werden.
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Externe Anerkennung als Berufsstolz-Faktor

Es liegen unterschiedliche Vorstellungen zur Relevanz der externen Anerkennung auf das Berufsstolz-Empfinden vor. Beispielweise sind vier Interviewte der Meinung, dass der Berufsstolz eng mit der öffentlichen Anerkennung verknüpft sei oder diesen zumindest beeinflussen könne. Neben der öffentlichen Anerkennung spielen auch weitere Formen der externen Anerkennung (z. B. Wertschätzung durch die Ärzteschaft, Arbeitgeber:innen, Pflegekund:innen) beim Berufsstolz eine Rolle.
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Arbeitsbedingungen als Berufsstolz-Faktor

Als förderlicher Faktor für den Berufsstolz gelten gute Arbeitsbedingungen. Die arbeitsbezogenen Rahmenbedingungen würden eng mit dem Berufsstolz zusammenhängen. So werde der Berufsstolz von den aktuell vorliegenden, herausfordernden Arbeitsbedingungen (z. B. Zeitdruck, fehlende Zuständigkeitsbereiche) negativ beeinflusst.
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Identifikation mit dem Beruf als Berufsstolz-Faktor

Die Identifikation mit dem Beruf ist als beeinflussender Faktor für den Berufsstolz benannt worden. Sich mit der Berufsbezeichnung zu identifizieren, sei relevant, um Stolz auf diese verspüren zu können. Ferner gelte es als wichtig für den Berufsstolz, dass sich ausgebildete Berufsangehörige als Fachpersonen sehen und sich nicht selbst zu degradieren.

Neben diesen Berufsstolz-Faktoren wurden auch die Gemeinsamkeiten (d.h. der gemeinsame Kern) der Aussagen der Interviewten näher untersucht. Bei dieser Analyse sind mögliche Berufsstolz-Quellen identifiziert worden, die einen Einfluss auf den jeweiligen Berufsstolz-Faktor nehmen.
Je nachdem welche Berufsstolz-Quelle vorliegt, kann dies einen förderlichen oder hinderlichen Einfluss auf den Berufsstolz-Faktor darstellen. Aus den Interviews geht hervor, dass beispielsweise der Berufsstolz-Faktor „Pflegefachlichkeit” auf dem Erwerb und Aufbau der pflegefachlichen Kompetenz basiert, welche z. B. durch die eine berufliche Spezialisierung (Berufsstolz-Quelle) positiv gestärkt wird. Ein weiterer Berufsstolz-Faktor umfasst die Pflege-Werte, welche im Sinne einer guten Pflegepraxis umgesetzt werden sollten. Die identifizierten Berufsstolz-Quellen umfassen individuelle Wertvorstellungen, wie z. B. Freude, Nächstenliebe oder Sinnhaftigkeit (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: Darstellung der Berufsstolz-Quellen und Berufsstolz-Faktoren, eigene Darstellung

Basierend auf den Ergebnissen habe ich einen Definitionsansatz für das Phänomen abgeleitet:

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Der „Berufsstolz in der Pflege” ist ein komplexes, berufsbezogenes Stolz-Empfinden von deutschen Pflegefachpersonen. Es beruht auf der positiven Selbstbewertung des eigenen pflegefachlichen Tuns. Dabei stellt der Berufsstolz eine individuelle Eigenleistung dar, bei welcher die eigene professionelle Pflegetätigkeit positiv bewertet werden muss, um Stolz auf diese empfinden zu können.

Primär speist sich der „Berufsstolz in der Pflege” aus unterschiedlichen Berufsstolz-Faktoren. Die einzelnen Berufsstolz-Faktoren werden von der Ausprägung der jeweiligen Berufsstolz-Quellen beeinflusst. So ist ein Zusammenspiel von positiven Berufsstolz-Quellen und Berufsstolz-Faktoren notwendig, um den „Berufsstolz in der Pflege” als deutsche Pflegefachkraft zu entwickeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, der stets im Wechselspiel zwischen den Berufsstolz-Faktoren und dem Berufsstolz-Empfinden steht.

Was bedeuten die Erkenntnisse für die Pflegepraxis?

Mithilfe meiner Studie konnten erste Tendenzen zu den berufsgruppenrelevanten Vorstellungen zum „Berufsstolz in der Pflege” aufgedeckt werden. Das Phänomen wurde so weit eingegrenzt, dass mögliche Berufsstolz-Faktoren mit Berufsstolz-Quellen abgeleitet werden konnten. Um zukünftig eine einheitliche Definition zum Phänomen zu haben, ist allerdings weitere Forschung notwendig. Es sollten die einzelnen Berufsstolz-Faktoren sowie deren Quellen näher beleuchtet werden, um herauszufinden, welche Quellen tatsächlich relevant sind. So könnten im nächsten Schritt praktische Handlungsempfehlungen (z. B konkrete Fortbildungsinhalte zur Stärkung der Berufsstolz-Faktoren) entwickelt werden, um Pflegefachpersonen länger im Pflegeberuf halten zu können.

Professionell durchgeführte Pflegetätigkeiten sind hochkomplexe Dienstleistungen am Menschen, auf die eine Pflegefachperson stolz sein sollte. Sie sollten öffentlich über ihre Stolzmomente sprechen und vor ihrer pflegerischen Tätigkeit eine hohe Selbstachtung haben. Es ist unumgänglich, dass professionell Pflegende im ersten Schritt ihre Pflegefachlichkeit selbst anerkennen, um ihre pflegerische Performanz sichtbar nach außen zu tragen.
Um Berufsstolz empfinden zu können, muss man sich selbst darüber im Klaren sein, was einem im Pflegefachberuf wichtig ist und welche pflegerischen Erfolge man erzielen möchte. Dies ist eine Aufgabe, welche jede Pflegefachperson selbst übernehmen muss. Für mich und die meisten meiner Befragten ist die Bewusstwerdung sowie der stetige Aufbau eines Berufsstolz-Empfindens eine Eigenleistung. Diese kann nur begrenzt von einer übergeordneten Stelle (d. h. Arbeitgeber:innen, Politiker:innen) unterstützt werden.

Seitdem ich mich mit dem Phänomen beschäftige, habe ich mich auch bewusst mit meinem Stolzmomenten und meinen Vorstellungen zum Berufsstolz auseinandergesetzt. Da der Berufsstolz ein Gefühl ist, sind die jeweiligen Quellen sehr individuell zu sehen. Die Profession Pflege hat ihre eigene Fachlichkeit, ihren eigenen Fachbereich und ihre eigenen Kompetenzen. Um den eigenen „Berufsstolz der Pflege“ darzustellen, muss keine andere Berufsgruppe degradiert werden. Auch ist es nicht notwendig, zwischen den Versorgungssettings zu unterscheiden. Ich vermute, dass jedes Pflegesetting eigene Berufsstolz-Quellen hat, an denen sich die Pflegefachpersonen bedienen können, um ihren Berufsstolz zu fördern.

Ich muss mir als Pflegefachperson bewusst werden, welche Besonderheiten der Pflegefachberuf mit sich bringt und welche hochprofessionellen und lebensnotwendigen Tätigkeiten am oder mit dem Menschen durchführt werden.

Ich muss mir selbst jedes Mal an die Nase fassen und mich ermahnen, nicht in den Jammermodus zurückzufallen. Ich musste selbst lernen, mir meine Stolzmomente bewusst zu suchen und herausfinden, wie ich das gegenüber fachfremden Personen kommuniziere. Es ist ein Bewusstsein zu schaffen, welches man nicht über Nacht erlernt. Das ist eine lebenslange Lernaufgabe, die bereits in der Pflegeausbildung verankert werden sollte:

Worauf bist du stolz im Pflegefachberuf?
Wie kommunizierst du über deinen Beruf?
Welches berufliche Standing hast du?

Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen, ob das Wording „Berufsstolz” im Fachbereich Pflege passend ist. Manche Personen verbinden den Begriff „Stolz sein” mit negativen Persönlichkeitseigenschaften wie „Arroganz” oder „Angeberei”. Auch müssen geschichtliche Hintergründe bedacht werden, bspw. der negativ geprägte „Nationalstolz”, welcher mit dem Nationalsozialismus sowie Rechtsextremismus verknüpft werden kann. Zudem spielt auch die Pflegegeschichte von Deutschland eine Rolle. Der caritative Ursprung von Pflege kann hinderlich auf den Begriff „Stolz sein” wirken. Zumal geschichtlich gesehen, eine dienende, aufopfernder Haltung als (Kranken-)Ordensschwester im Sinne der Nächstenliebe einzunehmen war. Betrachtet man jedoch die Definition von dem Begriff „Stolz”, geht es hierbei um eine persönliche Zielerreichung und individuelle Wertvorstellungen. Für die Zielerreichung im Fachbereich Pflege sind Kompetenzen notwendig. Auf diese erworbenen Kompetenzen kann eine Pflegefachperson stolz sein, ohne dabei arrogant zu wirken. Das Pflegeimage ist im Wandel. Mittlerweile wird Abstand von der Berufsbezeichnung „Krankenschwestern” genommen und der caritative Ursprung verliert mehr und mehr an Bedeutung.

Daher ist mein Apell: Sei dir als Pflegefachperson deinen Berufsstolz-Quellen bewusst, erlebe Stolzmomente und sprich darüber.

Meine komplette Studie wurde bereits veröffentlicht:

Adlhoch, L. (2024): Berufsstolz in der Pflege. Eine empirische Analyse zum Phänomen des Stolz-Erlebens aus Sicht von deutschen Pflegefachpersonen. Pflegewissenschaft 26 (5). S. 237-243.

Außerdem habe ich praxisnahe Empfehlungen erarbeitet, damit Pflegefachpersonen sich bewusst mit Stolzmomente in ihrem Pflegefachberuf auseinandersetzen können und diese erlebbar machen:

Adlhoch, L. (2024): Stolzmomente in der professionellen Pflege. Stolz im Pflegealltag bewusst erleben und sichtbar machen. PADUA 19 (5). S. 257—262.